Predigt zum Sonntag Jubilate (3. Mai 2020)

Predigt zum Sonntag Jubilate (Jubelt! Freut euch!), 3. Mai 2020

 

Liebe LeserInnen,

 

dass wir für so lange Zeit nicht zu normalen Gottesdiensten zusammenkommen konnten, wie wir sie gewohnt sind, ist schmerzlich.

Unter strengen Auflagen sind Gottesdienste demnächst wieder möglich (Taufen, Trauungen und Konfirmation ausgenommen), Auflagen besonders auch im Blick auf Ansteckungsgefahr und unsere Verantwortung für Risikogruppen, zu denen ich leider auch gehöre.

In den Ausweichraum der Reha-Klinik dürfen wir nicht wegen der Patienten, aber die Renovierung unserer Kreuzkirche ist praktisch abgeschlossen. Wie es dort dann weiter geht, was möglich ist usw. werden Sie bald hier und durch die Presse erfahren.

Bis dahin meine Predigt auf diesem Weg.

 

Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ So lautet der Wochenspruch aus dem 2. Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth. Es ist ein Satz der österlichen Zuversicht, einer Zuversicht, die wir gerade in diesen Wochen besonders brauchen. Im Blick auf den auferstandenen Christus bekommt das Leben ein anderes Gesicht. Wir dürfen Vertrauen haben, auch wenn sich gegenwärtig niemand unter uns von Unsicherheit und Sorge freimachen kann. Ich wünsche uns, dass wir innehalten und Kraft schöpfen können, auch und gerade durch Gottes Wort.

 

1.

Der Journalist und Schriftsteller Kurt Tucholsky, der in der Zeit der Weimarer Republik zu den bedeutendsten Publizisten zählte, war ein passionierter Weintrinker. Seine Liebe zum Rebensaft gipfelte in dem herrlichen Bonmot, der witzigen, geistreichen Äußerung: „Schade, dass man einen Wein nicht streicheln kann.“ Es war übrigens ein edler Frankenwein, der ihn zu diesem originellen Spruch veranlasste; aber ein fruchtiger Riesling oder ein trockener Bordeaux hätten es vielleicht auch getan.

Mit seiner Leidenschaft für gute Weine stand und steht Tucholsky keineswegs allein da. Es soll sogar Menschen geben, die ihre Urlaubsziele nach den schönsten Weinregionen auswählen. Gebiete wie die italienische Toskana oder das französische Aquitanien profitieren davon. Und in der Tat: Dort an einem milden Sommerabend bei einem Glas Wein und guten Gesprächen den Tag ausklingen lassen – Genuss pur. Umso bedauerlicher, dass viele Urlaubspläne in diesem Jahr voraussichtlich nicht realisiert werden können.

 

2.

Aber nicht nur europäische Landstriche sind für ihre Weinkultur bekannt. So zählt beispielsweise das kleine Israel zusammen mit dem gesamten kleinasiatischen Raum zu den ältesten Weinbaugebieten der Welt. Ausgrabungsfunde belegen, dass dort schon vor Tausenden von Jahren Wein erzeugt und verarbeitet wurde. Auch Jesus von Nazareth hat dem Wein oft und gerne zugesprochen; seine Kritiker nannten ihn deshalb sogar einen Säufer. Bei der bekannten Hochzeitsfeier in Kana soll er der Überlieferung nach nicht weniger als 600 Liter Wein zum Fest beigesteuert haben. 600 Liter! Und in einer seiner breit angelegten Reden im Johannesevangelium geht er sogar so weit, sich selbst mit einem Weinstock zu identifizieren (Johannes 15, 1-8):

 

Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner. Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, nimmt er weg; und eine jede, die Frucht bringt, reinigt er, dass sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt die Reben und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.

 

3.

Im Johannesevangelium spricht Jesus gerne von sich in prägnanten Bildern. „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ „Ich bin das Brot.“ „Ich bin das Licht der Welt.“ „Ich bin der gute Hirte.“ Oder eben auch: „Ich bin der Weinstock.“ Solche „Ich-bin-Worte“ haben es in sich, übrigens nicht nur, wenn sie aus dem Munde Jesu kommen. Ich denke an den berühmten Satz des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy im Juni 1963 vor dem Schöneberger Rathaus: „Ich bin ein Berliner.“ Oder an das selbstbewusste Bekenntnis des regierenden Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit im Jahre 2001: „Ich bin schwul – und das ist auch gut so.“ Ich-bin-Worte haben es in sich und möchten mit ihrer Botschaft bei den Zuhörern Aufmerksamkeit wecken.

 

4.

Wenn Jesus von sich als dem Weinstock spricht, dann darf er davon ausgehen, dass seine Hörer genau wissen, wovon er spricht. Sie kennen sich mit dem Weinbau aus. Sie wissen auch, dass der Weinstock die Reben speist. Dass die Reben also ganz und gar vom Weinstock abhängig sind. Ohne Weinstock keine Frucht – so einfach ist das. Für die Reben heißt das: Sie müssen am Weinstock bleiben, wenn sie Frucht tragen wollen. Genau in der Weise, sagt Jesus nun zu den Seinen, müsst ihr auch an mir bleiben. Mit anderen Worten: Ihr seid schon jetzt auf dem richtigen Weg, ihr seid schon rein, weil ihr auf mich hört und mir folgt. Bleibt dabei! Dann kommt die Frucht von selbst.

Im Rahmen des Johannesevangeliums finden sich diese Sätze Jesu innerhalb der breit angelegten Abschiedsrede, die der Mann aus Nazareth vor seiner Verhaftung und Hinrichtung an seine Jünger richtet. Sie stehen demnach im Rang eines Vermächtnisses und möchten sicherstellen, dass die Verbindung zwischen Jesus und den Seinen auch nach seinem Tod nicht abreißt. „Bleibt in mir und ich in euch!“ Sonst verdorrt ihr und verliert, was ihr schon seid und habt.

 

5.

Bleiben“ ist bekanntlich auch gegenwärtig unter dem Eindruck von Covid-19 ein wichtiges Stichwort. Gerade erst hat sich der Präsident des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler mit einem eindringlichen Appell an die Bevölkerung gewandt. Sie möge sich doch bitte unbedingt an die gültigen Regeln halten, auch wenn es schwer sei. Sonst bestünde die Gefahr, den bisherigen Erfolg zunichte zu machen. Es sei notwendig, weiter zu Hause zu bleiben, Abstand zu halten und die Maskenpflicht zu befolgen.

Wielers Sorge ist berechtigt. Vermutlich hat er bei seiner Warnung unter anderem die Bilder vom vollen Elbstrand in Hamburg oder von den vollen Einkaufsstraßen in Köln vor Augen, die vor wenigen Tagen durch die Medien gingen. Viele Bürgerinnen und Bürger, die der Ausgangssperre überdrüssig sind, neigen zum Leichtsinn, als hätten wir Corona bereits im Griff. Manche der politisch Verantwortlichen geben der Sorglosigkeit mit fragwürdigen Äußerungen zusätzlich Nahrung. Wirtschaftsunternehmen nutzen die Sehnsucht der Menschen nach Normalität, um die Kauflust anzuheizen. Eine Möbelhauskette wirbt mit dem Slogan: „Gemeinsam möbeln wir Deutschland wieder auf!“ Eine andere: „Endlich sind wir wieder für euch da. Endlich wieder Glücksgefühle!“ Fluglinien wittern ihre Chance und überlegen, wie sie Passagiere befördern können, notfalls mit Maske, aber bitte mit vollbesetzten Maschinen. Die Bundesligavereine tüfteln an einer raschen Rückkehr in den Spielbetrieb. All dies soll wohl suggerieren, dass wir schon über den Berg sind. Was gar nicht der Fall ist. Die Krise kann sich jederzeit wieder zuspitzen.

 

6.

Ich für meinen Teil habe in den letzten Wochen dem Lockdown durchaus auch Gutes abgewinnen können. Er gab mir Gelegenheit, das eigene Hamsterrad einmal anzuhalten. Nicht Tempo, Pendeln und Termine bestimmten plötzlich mehr meinen Alltag. Die Ruhe tat wohl. Was nicht heißt, faul auf der Haut zu liegen. Ganz im Gegenteil, es gab und gibt sehr viel zu tun. Der Ablauf war nur anders. Und ich wurde erinnert an Worte des katholischen Theologen Romano Guardini, der schon vor Jahren schrieb: „Wir müssen aus der Unrast heraus. Immerfort wird geeilt und erledigt. Der Tag ist vollgestopft und dadurch wird er leer. Denn was wirkliche Fülle schafft, kommt nur zum geringsten Teil aus den Gegenständen selbst; es kommt aus der inneren Tiefe des Geistes und Herzens, welche daran erwacht.“ Ja, der Lockdown hatte und hat auch sein Gutes. Damit möchte ich dessen Probleme gewiss nicht kleinreden, wohl aber darauf verweisen, dass in jeder Krise auch eine Chance liegen mag. Bemerkenswert finde ich in diesem Zusammenhang nicht zuletzt die vielen kreativen Ideen und Impulse, die helfen, angesichts der sozialen Isolation Brücken zu schlagen. Beispiel Gottesdienst. Dass wir uns aufgrund der staatlichen Vorgaben vielerorts momentan nicht als Gemeinde versammeln können, schmerzt. Aber menschlicher Erfindungsgeist eröffnet im digitalen Zeitalter ungeahnte Wege. Von den Fernsehgottesdiensten über Live-Streams bis hin zur Zoom-App werden derzeit zahlreiche Möglichkeiten kreiert, um Menschen einander nahe zu bringen und sie im Geist Christi zusammenzuschließen.

 

7.

Wo immer dies geschieht, ist dies ganz im Sinne von Jesu Weinrede. Es geht eben gerade jetzt darum, dranzubleiben. An ihm und aneinander. Es geht darum, trotz der räumlichen Trennung als Reben am Weinstock miteinander in Verbindung zu sein und sich so gegenseitig zu stärken und zu ermutigen.

Allerdings gehört meiner Ansicht nach noch etwas mehr dazu, damit wir, wie Jesus es ausdrückt, in ihm bleiben und er in uns. Das beinhaltet auch, dass wir uns immer wieder ganz persönlich Zeiten der Besinnung und inneren Einkehr gönnen. Dass wir uns stets aufs Neue in Jesu Gedanken und Worte vertiefen und im stillen Gebet seine Nähe suchen. Sonst kann es leicht passieren, dass wir als Einzelne wie auch als Gemeinde einem blinden Aktionismus verfallen. Dass wir, um noch einmal die Metapher von den Reben aufzugreifen, verdorren und nur noch als Brennholz taugen. Kürzlich meinte eine Frau zu mir: „Mit Jesus halte ich es wie mit dem Coronavirus.“ Und als ich verblüfft zurückfragte, wie das denn zu verstehen sei, da sagte sie: „Beide sind unsichtbar, aber ich bemühe ich, in meinem Alltag beide im Blick zu haben. So komme ich wunderbar zurecht.“ Das habe ich mir gemerkt.

 

Bleiben Sie gesund und voller Hoffnung

 

Ihr Pfarrer F. König