Predigt zum Sonntag Exaudi (24.05.2020)

Predigt

Exaudi, 24. Mai 2020

Predigttext: Jeremia 31,31-34

 

Liebe LeserInnen,

 

Christus spricht: Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.“ So lautet Spruch für die kommende Woche aus dem Johannesevangelium (12,32). Mitten in die Situation des Abschieds spricht Jesus diese Verheißung, verspricht uns, dass er uns nicht allein lassen wird. Auf dieses Versprechen hin feiern wir miteinander die Gemeinschaft mit Gott, ab Pfingstsonntag endlich wieder in unserer Kreuzkirche.

 

1.

Was für eine Achterbahn der Empfindungen und Erfahrungen haben die Jünger in wenigen Wochen erlebt: Der Tod Jesu am Kreuz, als alles zu Ende schien, seine Auferstehung, das Wieder-mit-ihm-zusammen-Sein, das den Glauben an seine Auferstehung erst ermöglicht und dann doch wieder die Trennung an Himmelfahrt. Da hinein das Versprechen Jesu einer Trennung nur auf Zeit, seines Bei-ihnen-Seins im Heiligen Geist. Mit dieser Verheißung schickt Jesus die Jünger nach Jerusalem, um auf den Geist zu warten. In dieser Wartezeit liegt der heutige Sonntag; eine Zeit der Vorfreude auf den Geist und zugleich der Unruhe, was noch kommen wird. Eine Zeit des Alleinseins und vielleicht der Empfindung, im Stich gelassen worden zu sein.

 

Im Stich gelassen zu sein, ist ein Gefühl dieser Tage. Die Menschen im Stich gelassen zu haben, ist auch ein Vorwurf, der in diesen Tagen gegenüber den Kirchen erhoben wurde. Die Kirchen hätten in der Corona-Krise versagt. Sagt die ehemalige Ministerpräsidentin von Thüringen, Christine Lieberknecht. Die Kirche habe in dieser Zeit Hunderttausende Menschen alleingelassen, Kranke, Einsame, Alte, Sterbende, kritisierte Lieberknecht in der Zeitung „Die Welt“. „Da wurde kein letzter Psalm gebetet, es gab keinen Trost, keine Aussegnung am Sterbebett“, sagte die CDU-Politikerin und frühere evangelische Pastorin. Die Kirchen ließen diese Vorwürfe nicht unbeantwortet: „Die pauschale Kritik von Frau Lieberknecht weise ich entschieden zurück“, sagte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm der Deutschen Presse-Agentur. Für die katholische Seite sagte der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, das glatte Gegenteil sei richtig: „Unsere Krankenhausseelsorger haben Unglaubliches geleistet, unsere Palliativbegleiter ebenfalls“, versicherte Kopp. „Die Kritik von Frau Lieberknecht ist überhaupt nicht nachvollziehbar.“

 

Ich glaube auch, dass die Kritik von Frau Lieberknecht nicht gerechtfertigt ist. Aber sie ist dennoch Ausdruck eines Schmerzes, den viele Menschen in diesen Wochen empfinden. Fehlende Besuchsmöglichkeiten in Krankenhäusern und Altenheimen sind nur ein Beispiel. Aus anderen Gegenden der Welt gibt es noch erschreckendere Nachrichten: Wo Angehörige ihre Verstorbenen in Massengräbern suchen. Und manchmal sind die Umstände auch bei uns so, dass Menschen einsam sterben und Menschen einsam trauern.

 

Das Gefühl der Unsicherheit und des Alleinseins kannten auch Menschen früherer Zeiten. Wie schon gesagt zum Beispiel die Jünger zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten in Jerusalem. Wir wissen heute um Pfingsten, um das Kommen des Heiligen Geistes, den Jüngern damals werden vielleicht Zweifel und Fragen gekommen sein. Das Gefühl der Unsicherheit und des Alleinseins haben vielleicht auch die Hörerinnen und Hörer des Jeremia empfunden. Das Ende Israels und Judas als Folge des Bundesbruchs sind bereits eingetreten. Das Gericht ist vollzogen. Nun stehen Volk und Prophet vor der Frage: Wie geht es weiter? Darauf gibt Gott eine überraschende, nicht zu erwartende Antwort, die die Menschen in ihrer Bedrückung ernst nimmt.

 

2.

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen,nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, mein Bund, den sie gebrochen haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der Herr; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den Herrn«, denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der Herr; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

 

Gott öffnet einen neuen Horizont. Das, was war, der Bruch des Bundes mit Gott ist nicht vergessen, aber vergeben. Die Vergangenheit des Menschen bestimmt nicht das zukünftige Handeln Gottes. Er möchte einen neuen Bund mit den Menschen, denn Gott ist zuverlässig, steht treu zu seinen Verheißungen. Und damit die Menschen in diesem Bund treu zu Gott stehen, schreibt er ihnen sein Gesetz in die Herzen, denn die Menschen sind eine Herzensangelegenheit Gottes.

 

Das, was Gott den Menschen durch den Propheten verspricht, ist in Erfüllung gegangen. Das Exil in Babylon ist zu Ende gegangen, das Volk konnte heimkehren, der Tempel in Jerusalem wurde wieder aufgebaut. Den Bund, den Gott den Menschen verspricht, den hat er in Christus neu gegründet, in seinem Leben, Sterben und Auferstehen. Und er hat an Pfingsten den Heiligen Geist in die Herzen der Menschen gegossen, damit wir treu zu ihm stehen.

 

Und dieser Bund gilt auch in diesen Tagen. Es ist für mich ein großer Trost: Wenn ich mich von Menschen im Stich gelassen fühle, darf ich darauf vertrauen, dass Gott mich nicht im Stich lässt. „Denn mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der Herr nimmt mich auf“, heißt es im Psalm 27 (Vers 10). Und wenn ich Menschen im Stich lassen muss, da Besuche nicht möglich sind oder Rücksichtnahme und Vorsicht Abstand empfehlen, darf ich darauf vertrauen, dass Gott bei den Menschen ist. Wenn Menschen einsam sterben und Menschen einsam trauern, ist Gott bei ihnen. Er ist immer mit dem Menschen im Bunde und er ist die Verbindung zwischen Menschen, die momentan getrennt sind. Darauf vertraue ich.

 

3.

Das alles können wir nicht beweisen, doch wir können es glauben. Manche werden vielleicht sagen, nur glauben. Doch wir dürfen das Vertrauen nicht gering schätzen. Auf das Versprechen Gottes können wir nur mit Vertrauen antworten. Vertrauen, das unser Leben ändern kann. Vertrauen auf den Heiligen Geist. Auf den Geist, der mein Leben ausfüllen kann, der die Grenzen meines Alltags sprengen kann, in alle Bereiche meines Daseins eindringen will. Der Heilige Geist will nicht nur ein Geist der Gebete und des Gottesdienstes sein. Deshalb hat ihn uns Jesus bei seinem Abschied auch verheißen: Als einen Begleiter, der zu einer bestimmten Zeit nicht nur an einem Ort sein kann, sondern einen, der gleichzeitig bei allen sein kann, überall auf dieser Welt. Der Geist Gottes will uns nahe sein in unserem Leben, will in uns sein, von innen her Kraft geben. Naturwissenschaftlich kann man sicherlich nicht nachweisen, dass Gottes Geist uns erfüllt; aber wenn wir ihn annehmen, dann können wir es an seiner Wirkung spüren. Wie die Kraft des Geistes spürbar wird, das kann jeder nur für sich selbst in seiner konkreten Lebenssituation erfahren. Es kann vielleicht sein, dass ich in Trauer und Abschied den Mut finde, neue Wege zu gehen oder dass sich Freude und Dankbarkeit in mir breit machen, obwohl die äußere Situation gar nicht danach ist, oder … Trauen wir dem Geist nicht zu wenig zu. Trauen wir Gott nicht zu wenig zu. Dietrich Bonhoeffer schreibt aus der Nazi-Haft, die mit seinem Tod endete: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will … In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.“

 

4.

Der Sonntag Exaudi ist auch ein Sonntag des Wartens. Wir müssen alle auf den Heiligen Geist warten, niemand besitzt ihn, besitzt Gott ja so, dass er nicht mehr warten müsste. Und wir leben momentan in einer Zeit des Wartens. Darauf, dass es besser, normaler wird. Dass Kontakte wieder möglich sind ohne Abstand, Plexiglas-Scheibe zwischen uns und Maske. Darauf, dass wir wieder einander in den Arm nehmen dürfen, um zu trösten. Ich stelle mir manchmal vor, was das für ein Fest sein wird: Einander die Hand zu geben, in den Arm zu nehmen. Aber wir müssen warten. Und niemand weiß, wie lange noch. Das ist manchmal schwer zu ertragen. Wie das Warten auf Gott. Doch wir können dieses Warten ertragen – so glaube ich – weil wir fest darauf vertrauen dürfen, dass Gott uns erwartet. Und wir ihm im Warten entgegen leben. Und er schon bei uns ist. Denn er lässt uns nicht im Stich.

 

Ich wünsche Ihnen alles Gute, vor allem Gesundheit

Ihr

Frank König, Pfarrer

 

Und nicht vergessen: Ab Pfingstsonntag wieder Gottesdienst in der

Kreuzkirche.