Predigt für den Sonntag Misericordias Domini (26.April 2020)

Predigt für den 26.04.2020

 

Liebe LeserInnen,

 

Miserikordias Domini heißt der heutige Sonntag, und um die Barmherzigkeit des Herrn geht es auch heute. Er sorgt wie ein guter Hirte für uns – gerade auch im Leid der Coronazeit.

Der Spruch für die kommenden Woche lautet: „Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.“

Ein Vertrauen gegen den Augenschein: Der Herr ist mein Hirte!

 

1.

Ich wünsch dir Liebe ohne Leiden“, hat Udo Jürgens gemeinsam mit seiner Tochter vor langer Zeit gesungen, zum Abschied wünschen die beiden sich gegenseitig Liebe ohne Leiden.

Die Erfahrung derzeit ist eine andere: In Coronazeiten müssen wir lernen, dass es zum Leben dazugehört, dass es Einschränkungen und Leid in verschiedenen Formen gibt. Leiden erfahren ja in diesen Wochen nicht nur die Infizierten oder gar schwer Erkrankten und ihre Angehörigen. Mit Einschränkungen müssen zurzeit alle leben, und darunter leiden Menschen verschieden schwer. Die Kontaktbeschränkungen führen dazu, dass viele alte Menschen keinen Besuch bekommen und unter Einsamkeit leiden. Aber auch Jüngere, die allein leben, leiden unter den fehlenden Kontakten; nicht alles lässt sich mit Telefon und Videoschaltung auffangen. Es lässt sich jetzt bereits feststellen, dass es viele Menschen gibt, die in dieser Situation unter psychischen Problemen leiden. Auf der anderen Seite gibt es in vielen Wohnungen Ärger und Streit, weil Kinder und Erwachsene auf engem Raum miteinander auskommen müssen. Viele leiden unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen, und andere darunter, dass ihr Arbeitsplatz und ihr Einkommen gefährdet sind. Ich möchte auch nicht vergessen, in welch schwierige Situationen Obdachlose derzeit geraten, und wie viel dramatischer sich das Coronavirus in den armen Ländern der Welt auswirkt.

 

All das wird nicht in wenigen Wochen vergessen sein, im Gegenteil: Die Erfahrung, dass Leiden Teil unseres Lebens ist, wird unsere Welt und unser Leben verändern.

 

2.

Niemand wünscht sich zu leiden, krank zu sein, ohne Arbeit oder allein. Es ist schon schwer genug zu akzeptieren, dass Leiden zu unserem Leben dazugehört. Umso erstaunlicher ist es, was ich in der Bibel zum Thema Leiden lesen kann. Da schreibt etwa der Verfasser des 1. Petrusbriefs am Ende des 1. Jahrhunderts: „Wenn ihr leidet und duldet, weil ihr das Gute tut, ist dies Gnade bei Gott.“ (1. Petrus 2,20b).

 

Leiden als Gnade? Geht das nicht einen Schritt zu weit? Zumal der Apostel das ja an Menschen schreibt, die schwer zu leiden haben. Die Christen, an die er sich wendet, wurden wegen ihres Glaubens verhöhnt und zum Teil verfolgt. Auf jeden Fall hatten sie Nachteile zu erwarten. Erst recht galt das für die Sklaven, von denen sich auch einige zur christlichen Gemeinde hielten. Unter ihren zum Teil wunderlichen Herren haben sie Schlimmes erfahren. Gerade an sie richtet sich der Apostel, wenn er sagt: Wenn ihr leidet, ist dies Gnade bei Gott.

Wie kann er so etwas sagen? In den folgenden Sätzen aus dem ersten Petrusbrief begründet er das mit dem Hinweis auf Jesus, wahrscheinlich spielt er sogar auf ein altes Christuslied an. Im 1. Petrusbrief, Kapitel 2, die Verse 21-25 heißt es:

 

Christus hat für euch gelitten und euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen; er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand; der, als er geschmäht wurde, die Schmähung nicht erwiderte, nicht drohte, als er litt, es aber dem anheimstellte, der gerecht richtet; der unsre Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden. Denn ihr wart wie irrende Schafe; aber ihr seid nun umgekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.

 

3.

Leiden als Gnade? Der Apostel verweist auf Jesus Christus: Jesus Christus selbst hat ja gelitten. Ausführlich wird sein Leiden benannt: Wie er geschmäht wurde und gekreuzigt wurde, wie er das Leid ertragen hat, ohne sich zur Wehr zu setzen; und dass, obwohl er selbst ohne Sünde war. Doch entscheidend ist nicht, was er alles erlitten hat, sondern vielmehr: Er hat für uns gelitten: „Durch seine Wunden seid ihr heil geworden“, sagt der Apostel. Jesu Leiden hat keinen Selbstzweck. Es ist auch keine Leidenssehnsucht dahinter, wie dem christlichen Glauben manchmal unterstellt wird. Jesu Leiden hat Sinn, er hat für uns gelitten, damit wir leben können. Wir können von Jesu Leid und Tod ja nicht sprechen, ohne auch seine Auferstehung zu glauben. Mit ihm verbunden leidet er für uns, damit wir mit ihm auch leben können und das Heil erfahren. Vor zwei Wochen haben wir Ostern gefeiert, von Ostern her können wir auch das Leid als Gnade erfahren. Denn der Auferstandene ist der Hirte und Bischof unserer Seelen.

 

4.

Doch dieser Hirte und Bischof unserer Seelen ist für uns zugleich das Vorbild, dem wir nachfolgen sollen. So sagt es der Verfasser des 1. Petrusbriefs: „Christus hat für euch gelitten und euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen.“ Auch wenn diese Fußstapfen uns zu groß erscheinen: wir sollen Christus in seinem Leiden nachfolgen. Mit seinem Leiden hat er uns ein Vorbild hinterlassen, wörtlich übersetzt müsste man genauer sagen: eine Vorlage hat er uns gegeben. Es geht nicht darum, im Einzelnen nachzuahmen, was Jesus getan hat, sondern sich im Leiden nach dem Muster zu richten, das wir in Jesus haben.

Ich verstehe das so: Jesus hat nicht gelitten um des Leidens willen, sondern er hat für uns gelitten. So hat auch für uns Christen das Leiden keinen Selbstzweck, sondern es soll hilfreich sein für andere. Es geht nicht darum, sich selbst zu quälen, Masochismus ist niemals eine christliche Tugend. Es geht vielmehr darum, anderen zugute auch Leiden in Kauf zu nehmen. So liegt auf dem Leiden Gottes Gnade und Segen. Ich erinnere noch einmal genau an die Worte des Apostels: „Wenn ihr leidet und duldet, weil ihr das Gute tut, ist dies Gnade bei Gott.“ Das Gute tun: darauf kommt es hier an. Wenn wir das Gute tun, und das führt uns in das Leid, dann gehen wir in den Fußstapfen Christi.

 

 

5.

Leiden in Kauf nehmen, um anderen zu helfen: Genau das können wir in unseren Coronazeiten einüben. Das Leid, das wir in unterschiedlicher Form derzeit alle erfahren, ist nicht an sich gut. Aber vielfach ist es gerade dafür gut, anderen zu helfen und sie zu schützen. Wenn derzeit Arbeitsplätze gefährdet sind, dann lässt sich solches Leid nur ertragen im Blick darauf, dass es der Gesundheit von vielen dient. Die Abstandsregeln und Kontaktverbote dienen dem Schutz von Menschen insbesondere in den Risikogruppen, und in diesem Bewusstsein lassen sich auch Einschränkungen und Einsamkeit eher aushalten. Deutlich wird das für mich beim Mundschutz, der nun in diesen Tagen in allen Bundesländern Pflicht wird. Der bedeutet ja keine große Einschränkung, dennoch ist er eine kleine, aber bedeutsame Geste: Mit meinem Mundschutz schütze ich ja weniger mich, sondern vielmehr die Menschen in meiner Nähe. Ich nehme das zum Schutz der anderen gerne auf mich.

Das sind Zeichen der Solidarität, von der der Bundespräsident in seiner Ansprache zu Ostern gesprochen hat: „Solidarität – ich weiß, das ist ein großes Wort“, hat er gesagt, und weiter: „Aber erfährt nicht jeder und jede von uns derzeit ganz konkret, ganz existenziell, was Solidarität bedeutet? Mein Handeln ist für andere überlebenswichtig.“

Zweifellos hat Steinmeier auch recht, wenn er sagt: Unsere Welt wird nach Corona eine andere sein. Ich erinnere mich daran, wie sehr der Reaktorunfall von Tschernobyl unsere Welt verändert hat. Das war übrigens heute vor 34 Jahren, am 26. April 1986. Haltungen und Handlungen in unserer Gesellschaft haben sich seitdem in vielerlei Hinsicht geändert. Wie viel mehr wird das in einer Zeit nach Corona sein. Jetzt schon können wir die Zeit nutzen, unseren Umgang mit dem Leid zu ändern und Solidarität einzuüben. Oder in der Sprache des 1. Petrusbriefes: In den Fußstapfen Jesu Christi füreinander Hirten sein. Denn „wenn ihr leidet und duldet, weil ihr das Gute tut, ist dies Gnade bei Gott“.

 

6.

Auf dem Leiden liegt Gottes Gnade, weil das Leid nicht das letzte Wort haben wird. Jesus hat ja für uns gelitten, damit wir das Heil erfahren. Nicht nur zur Coronazeit ist unser Leben durch verschiedene Erfahrungen von Leid gekennzeichnet. Das Leid zu tragen, scheint uns manchmal sehr schwer, die Fußstapfen der Nachfolge zu groß. Doch wir können das mit dem Blick auf Ostern ertragen, weil Jesus der Hirte unserer Seelen ist, der uns leben lässt. Darum gilt auch im Leid unserer Zeit, wie es im Lied 182 (V. 5) heißt:

Freut euch, ihr Christen, erstanden ist der Herr:

er lebet, und wir sollen leben.

Not, Angst und Tod kann uns nicht besiegen mehr:

Gott hat den Sieg uns gegeben. Halleluja!“

 

Ich wünsche uns allen unerschütterliches Vertrauen und viel Durchhaltevermögen.

 

Ihr Pfr. F. König